Brasilien - im Visier von Amnesty International

Laetitia Rossi, übersetzt von Claudia Oppong Peprah
22 Juillet 2015



Im Februar hat Amnesty International den Bericht für das Jahr 2014 über die Einhaltung der Menschenrechte in der Welt herausgegeben. Brasilien ist dabei besonders aufgefallen: „Es ist eines der Länder der Welt, indem die meisten Morde begangen werden, mehr als in bestimmten Kriegsgebieten“, bestätigt Atila Roque, Hauptgeschäftsführer der Organisation in Brasilien.


Sonderkommando der Polizeistreitkräfte BOPE auf Streife in einem Slumviertel am Rande von Rio de Janeiro – Photokredit DR
Sonderkommando der Polizeistreitkräfte BOPE auf Streife in einem Slumviertel am Rande von Rio de Janeiro – Photokredit DR
Brasilien ist schon seit langem für seine Unsicherheit bekannt, aber die Bilanz des Jahres 2014 ist noch alarmierender: Ein Anstieg der Morde, der zahlreichen Todesfälle bei Polizeiaktionen, gewaltsam unterdrückten Protestmärschen, der Aggressionen gegen Journalisten, der Gefängnisaufstände mit tödlichem Folgen und der Folterungen.

2014 - ein mörderisches Jahr

Für Atila Roque kann uns ein Land, indem jedes Jahr 60.000 Menschen ums Leben kommen, was den Schutz der Bevölkerung angeht, keine adäquate Antwort auf das Grundprinzip eines Staates geben. Laut dem Bericht der Organisation trägt die Militarisierung der Ordnungskräfte zur hohen Todes-Rate der Gewalt Brasiliens bei. Während der letzten fünf Jahre, hat die brasilianische Polizei so viele Menschen getötet wie die amerikanische in 30 Jahren nicht ; auch wenn das Jahr 2014 eines der mörderischsten Jahre, unter den entwickelten Ländern, war.

Einige Fälle sind für das Jahr 2014 bekannt. Darunter der von Pedreiro Amarildo, der in der Favela Rocinha, einem Slumgebiet am Stadtrand von Rio de Janeiro, von einer „Friedenstruppe“ der Polizei zu Tode gefoltert wurde. Der Fall des berühmten Tänzers Douglas da Silva, der an den Schussverletzungen starb, die er sich in der Farvela de Cantagalo bei einer Polizeiaktion zugezogen hatte, ist ebenso bekannt. Ein Massaker, das von Agenten der Militärpolizei als Racheaktion für einen verstorbenen Kollegen inszeniert wurde, führte letzten November in Belem, im Norden des Landes zu einem Dutzend Tote. Das amtliche Protokoll ist einhellig: In Brasilien, besonders in Rio de Janeiro und São Paulo ist die Sicherheit äußerst fragwürdig und die Obrigkeit schafft es nicht, im Inneren echte Kontrolle auszuüben. Man ist weit davon entfernt, Transparenz zu beweisen und sich Klarheit über das Verhalten der eigenen Agenten zu verschaffen. Was Brasilien angeht, sind nachweislich nicht nur die Polizisten für die hohe Todes-Rate verantwortlich, sondern mitunter auch die Opfer. Sie schaffen es jedoch nicht, die anderen Verantwortlichen auszuschalten. Unzureichende, nicht der Situation angepasste Ausbildung, fehlende Ausrüstung und zu niedrige Löhne sind zum Teil die Erklärung für dieses Phänomen.

Die Straffreiheit dient der Gewalt

Amnesty International zeigt noch einen weiteren alarmierenden Faktor auf, der für das Szenario verantwortlich ist: Die immense Straffreiheit bei den Agenten der Ordnungskräfte sei der Urheber der Verletzungen gegen die Menschenrechte. Die Justiz steht bei der Aufklärung der Morde vor großen Schwierigkeiten. Im Durchschnitt bleiben 85% davon straffrei, sei es auf Grund der Unfähigkeit der Behörden, die Schuldigen zu finden, oder auf Grund fehlender Nachforschungen. „In Brasilien gibt es fast so etwas wie eine Lizenz zum Töten. Man führt Untersuchungen zu einem Verbrechen durch, das sich am helllichten Tag vor aller Augen ereignet hat. Also ein Verbrechen, bei dem alle den Schuldigen gesehen haben,“ bekräftigt Atila Roque. Diese Allgegenwärtigkeit der Gewalt, die unter den Zivilisten ebenso verbreitet ist wie unter diejenigen, die sie beschützen sollen, erzeugt bei der Bevölkerung ein Gefühl von permanenter Angst und Schrecken. Die Einwohner sind vor Angst, der tätlichen Gefahr ausgesetzt zu sein, gelähmt.
Brasilien - im Visier von Amnesty International

Ein unsicheres Haftsystem

Die Zahl der Inhaftierten ist in Brasilien viermal so hoch wie im Rest der Welt. Massenhafte Inhaftierungen bedeuten aber nicht gleichermaßen wirksame Inhaftierungen. Die Individuen, die die Zellen der brasilianischen Gefängnisse behausen, sind keine gewalttätige Verbrecher. Es sind die, die gegen Besitz und Vermögen Vergehen begehen oder in den Drogenhandel verwickelt sind. Nach dem Bericht von Amnesty International sind die extreme Überbevölkerung, die entwürdigende Lebensbedingungen und Fälle von Folter und Gewalt die häufigsten Probleme in den brasilianischen Strafvollzugsanstalten. Das Gefängnis Pedrinhas im Staat Maranhão war zwischen Oktober 2013 und Oktober 2014 zum Beispiel Schauplatz von 78 Hinrichtungen von Inhaftierten. Die Situation ist derart schlimm, das in den letzten Jahren viele Klagen bezüglich der Haftbedingungen bei der Kommission des interamerikanischen Gerichtshofes für Menschenrechte eingegangen sind.

Die Empfehlungen von Amnesty International

Die Instanz schlägt einen Plan vor der nationale Ziele ausarbeiten soll, um die Morde umgehend zu vermindern, sowie die Polizeikräfte zu reformieren und zu entmilitarisieren. Dies sollte durch externe Kontrollmechanismen geschehen, die die Aktivitäten überwachen, sowie durch einer Aufwertung der Agenten und einer Verbesserung ihrer Ausbildung, ihrer Arbeitsbedingungen wie auch der Verbesserung der Untersuchungsmittel. Amnesty International fordert auch, einen Schutzplan für die Verteidiger der Menschenrechte einzusetzen. „Es ist notwendig, dass wir die Reform und die Umstrukturierung der Polizei ins Auge fassen. Wir müssen uns die Sicherheit als einen Bereich vorstellen, der die Menschenrechte bekräftigt, und sie nicht verletzt. Wir müssen sie uns als einen wesentlichen Teil öffentlicher Politik vorstellen und daher als nationales Problem betrachten,“ betont Atila Roque.

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