Dysturb – Der Fotojournalismus erfindet sich neu

Flaminia Bondi, übersetzt von Claudia Oppong Peprah
11 Février 2015


#Dysturb ist der Name des Projekts, das von den Fotografen Pierre Terdjman und Benjamin Girette ins Leben gerufen wurde und das dazu dienen könnte dem Fotojournalismus aus der Krise zu helfen. Nachdem die Fotobudgets gekürzt werden während die mediale Konkurrenz zunehmend wächst, werden zahlreiche Themen, die normalerweise von den Fotojournalisten angesprochen werden, in Zukunft einfach totgeschwiegen. Dies sorgt dafür, dass sich unter den Fotografen großer Frust und Empörung breit macht.


Kredit Dysturb
#Dysturb ist ein Projekt, das sich auf ein weitreichendes Netz von Berufsfotografen stützt, die eine alternative Möglichkeit suchen aus der Krise herauszukommen, die nun nach einiger Zeit auch den Fotojournalismus erreicht hat. Eine Situation die sich unter anderem durch die Pressekrise zugespitzt hat, demzufolge werden die Fotobudgets gekürzt und die Aufträge sinken. Es liegt auch daran, dass die Nutzung der Bilderdatenbanken durch die Konkurrenz eines ununterbrochenen Stroms an immer neuen Bildern von Amateuren und Profifotografen, die aus dem Internet oder durch soziale Netzwerke von den Medien - häufig zu einem sehr geringen Preis - benutzt werden können, weiter voranschreitet. Dies zeugt wiederum davon, dass zu Lasten eines qualitativen Informationsgehalts, man der Recherche nur Raum zu minimalen Kosten gönnt.

Die Krise des Fotojournalismus

#Dysturb ist ein Projekt, das sich auf ein weitreichendes Netz von Berufsfotografen stützt, die eine alternative Möglichkeit suchen aus der Krise herauszukommen, die nun nach einiger Zeit auch den Fotojournalismus erreicht hat. Eine Situation die sich unter anderem durch die Pressekrise zugespitzt hat, demzufolge werden die Fotobudgets gekürzt und die Aufträge sinken. Es liegt auch daran, dass die Nutzung der Bilderdatenbanken durch die Konkurrenz eines ununterbrochenen Stroms an immer neuen Bildern von Amateuren und Profifotografen, die aus dem Internet oder durch soziale Netzwerke von den Medien - häufig zu einem sehr geringen Preis - benutzt werden können, weiter voranschreitet. Dies zeugt wiederum davon, dass zu Lasten eines qualitativen Informationsgehalts, man der Recherche nur Raum zu minimalen Kosten gönnt.

Die Reporter bekommen folglich immer weniger Aufträge, mit einem Lohn der nicht immer die möglichen Risiken, die sie eingehen wenn sie vor Ort Bericht erstatten, deckt.
 
Was bleibt ist eine hohe Frustration, die Frustration eines Fotografen, der nachdem er monatelang an Ort und Stelle verbracht hat und in heiklen Situationen nicht selten sein Leben riskiert hat, nicht wirklich über das berichten kann was er gesehen hat und als Augenzeuge seine Erlebnisse nicht an die Öffentlichkeit bringen kann. Bei einem Einsatz der mehrere Monate dauert, lassen sich zum Beispiel nur wenige Auflagen erfolgreich in der Presse platzieren. Die übrigen Auflagen erleben diesen Tag erst gar nicht, da es nur wenige Verkäufer gibt oder die Mittel dafür fehlen.

Die Antwort von #Dysturb

#Dysturb wurde im letzten Februar von Pierre Terdjman und Benjamin Girette gegründet. Der Wille ihre Augenzeugenberichte an die Öffentlichkeit zu bringen und unter anderem auch die von den Reportern, die die Bevölkerung über die Realitäten informieren möchten und die häufig sehr schnell in dem Strom der Medienberichterstattung untergehen, hat #Dysturb ans Licht gebracht. Um das zu erreichen, haben sie beschlossen den Weg, der zwangsläufig von den großen Medien gewählt wird, zu umgehen und ihre Augenzeugenberichte direkt auf der Straße auf Plakaten auszustellen. Pierre Terdjman berichtet es sei das „größte soziale Netzwerk der Welt“.

Bei Nacht gingen sie also, in einer Gruppe und mit Leim bewaffnet, in die Städte um sie mit riesigen Plakaten ihrer Fotos, die aus allen Ecken der Welt stammen, einzudecken. Die Poster im 4x3 Format wurden schließlich im Tageslicht zu Fenstern zur Welt, die die Zwangsumsiedler aus Bangladesch, Demonstranten aus Ägypten, Hongkong oder der Ukraine, Konflikte in der Zentralafrikanischen Republik, in Gaza, Mali, etc. zum Vorschein brachten.

Das Projekt, das komplett von seinen Gründern und seiner Gemeinde finanziert wird, hat bereits einige Städte wie z.B. Paris, Perpignan (während der Veranstaltung „Visa pour l’Image“, dem internationalen Festival für Fotojournalismus), Sarajevo und im Oktober vergangenen Jahres New York erreicht.  Aber dies ist erst der Anfang.

Pierre Terdjman, der seit 2007 für die Agentur Gamma fotografiert, ist ein französischer Fotojournalist und arbeitet regelmäßig für Paris Match, The New York Times, Geo Magazine und Newsweek. Von den Ausschreitungen nach den Wahlen in Kenia über den russisch-georgischen Konflikt, Afghanistan, das Erdbeben in Haiti bis hin zum Arabischen Frühling, war er Zeuge zahlreicher Konfliktzonen und Gewaltausschreitungen rund um die Welt. In einem kurzen Interview stellt Pierre Tterdjman seine Sichtweise des heutigen Fotojournalismus dar, und erklärt wie es zu diesem Projekt kam.

Gespräch mit Pierre Terdjman

Kredit Dysturb
Wie sind Sie Fotograf geworden und was hat Sie zum Fotojournalismus bewogen?
 
Ich habe mit der Fotografie in Israel begonnen, während ich von 2002 bis 2007 ein Praktikum bei der Zeitschrift Haaretz absolvierte. Nachdem ich mehrere Jahre über die Intifada berichtete, bin ich nach Frankreich zurückgekehrt und habe bei der Agentur Gamma angefangen.
 
Ich wollte schon immer die Welt entdecken und begreifen, wie Menschen in Kriegszeiten leben. Ich fotografierte gern und war voller Reiselust, also bin ich Fotojournalist geworden.

Wie sind Sie auf die Idee mit dem Projekt #Dysturb gekommen? Was waren Ihre Ziele? Welche Bevölkerungsgruppe wollten Sie damit ansprechen?
 
#Dysturb ist entstanden weil wir die Geschehnisse und Themen, die wir als Fotojournalisten erleben, auch mit der breiten Masse teilen wollten. Da wir es Leid waren, dass die herkömmliche Presse eine solche Lücke bei der Bildberichterstattung hinterlässt, und wir uns der Notwendigkeit bewusst waren dies zu ändern, haben wir im März letzen Jahres mit Benjamin (Benjamin Girette) zusammen Dysturb gegründet.
Das Ziel ist dabei jedes Mal, Fotojournalismus „wild“ zu veröffentlichen, um den Leuten bewusst zu machen was um sie herum passiert. Wir haben beschlossen zu plakatieren, auf der selben Weise wie die Werbung überall in den Straßen zu sehen ist! Wir randalieren nicht und wir benutzen wasserlöslichen Kleber.

Wie ist die Auswahl der Fotos entstanden und wie habt ihr entschieden, wo sie angebracht werden?
 
Wir haben die Fotos je nach Aktualität ausgewählt. Wir haben ein Netzwerk an Fotojournalisten und nebenbei suchen wir ständig nach neuen Themen.

Sind Sie bei der Entwicklung des Projektes auf Probleme gestoßen?
 
Da das Projekt bislang nur von uns selbst finanziert wird, müssen Geld auftreiben um es fortzusetzen.

Dysturb (disturb) kann man auf Deutsch mit „stören“ übersetzen. Hat das Projekt die beabsichtigen Reaktionen und Eindrücke hervorgerufen?
 
Die Idee war, in der Tat, die Leute zu irritieren und sie dazu zu bringen sich der Welt, in der sie leben, zuzuwenden und wir haben die Wette gewonnen: Die Leute haben darauf reagiert und in Paris haben uns sogar einige gefragt, ob wir zu ihnen kommen und die Poster auch in ihrem Viertel anbringen könnten.

Kredit Dysturb
Sie haben sich als Ausstellungsort die Straße ausgesucht. Was hat Sie zu dieser Wahl bewogen? Anbetracht des ständigen Wechsels der Stadt, sind die dort ausgestellten Werke nicht dazu verdammt innerhalb kürzester Zeit zu verwittern?
 
Den Platz in der Stadt zu nutzen war die beste Möglichkeit, um so viele Leute wie möglich zu erreichen. Die Straße ist und bleibt das größte soziale Netzwerk der Welt. Für Künstler, genauso wie für Leute wie du und ich, kann es eine starke Aussagekraft haben. Auf der Straßen kriegt man den ganzen Tag nur Werbung zum Essen; wir verkaufen etwas anderes! Eigentlich verkaufen wir nichts, wir bieten den Leuten die Möglichkeit sich kostenlos zu informieren und sich bewusst zu werden, was um sie herum passiert.

Welche Rolle geben Sie den sozialen Netzwerken? Was denken Sie, um genau zu sein, über Instagram und Twitter?
 
Wir sind offensichtlich sehr gut auf Instagram, Facebook und Twitter vertreten und es ist für uns auch sehr wichtig gut vernetzt zu sein, damit unsere Gemeinde weiter wachsen kann und wir die Leute über das informieren können was wir machen.

In einer Welt, die mehr und mehr mit Bildern und Informationen, die die Aufmerksamkeit des Publikums erregen, übersättigt ist, versuchen zahlreiche Themen und Reportagen sich ins rechte Licht zu rücken. Was halten Sie von dieser„Konkurrenz“ und welche Lösungsmöglichkeiten können Sie sich dafür vorstellen?
 
Also ehrlich gesagt sind wir gerade dabei, dafür eine Alternative zu schaffen. Schluss mit dem Gejammer, dass es um unser Gewerbe schlecht steht; mit Dysturb suchen wir heute genau dafür eine Lösung. Ein Foto von Johnny wird interessanter sein als ein Foto aus dem Irak. Das ist die Realität und es ist auch wahr, dass die Leute nicht noch mehr Informationen möchten. Sie glauben nicht immer das was man ihnen sagt.
 

Welchen Platz nimmt der Fotojournalismus in dieser Dynamik ein und welche Rolle müsste er in der heutigen Gesellschaft spielen?
 
Der Fotojournalismus hat den Zweck, die Leute zu informieren und sie dazu zu bewegen, neue Themen zu entdecken. Genau das ist seine Aufgabe: bei Problematiken, von denen man noch nie etwas gehört hat, die Alarmsirene auszulösen.

Die Fotojournalisten werden häufig mit Anthropologen verglichen. Wenn wir schon dabei sind, was denken Sie über die Haltung des Fotojournalismus? Konserviert Fotojournalismus eine echte Objektivität, wo doch jedes Foto, was Thema und Vorgaben betrifft, das Ergebnis einer möglichen subjektiven Vorauswahl sein könnte?
 
Objektivität ist ein Wort, das man aus dem Wortschatz der Journalistenschulen verbannen muss. Ich würde intellektuelle Anständigkeit vorziehen, bezogen auf die Art und Weise wie man ein Thema behandelt, den Respekt für das Thema und vor allem für die Menschen. Respekt und Einfühlungsvermögen sind unabdingbar.

Wer hat Sie dazu angestiftet bzw. dazu gedrängt als normaler Mensch Ihr Leben, in  häufig dramatischen Situationen, aufs Spiel zu setzen?
 
Die Geschichten derjenigen zu erzählen die es nicht können.
 
Gab es einen Moment in Ihrer Karriere wo Sie dachten, dass es nicht die Mühe wert sei (dafür Ihr Leben zu riskieren)?
 
Ja, das ist mir schon Mal passiert aber ich habe nicht lange darüber nachgedacht.

Sie sind viel gereist und haben dabei verschiedene Aufstände, verschiedene Völker und verschiedene Realitäten fotografisch festgehalten. Haben Sie dabei eine oder mehrere Gemeinsamkeiten zwischen den verschiedenen Kontexten/Forderungen feststellen können?
 
Armut, fehlende Bildung, Freiheitsentzug und Entzug der Redefreiheit sind die häufigsten Gemeinsamkeiten der Konfliktländer, denke ich.
 
Von Ihren vielen Reisen und Projekten, können Sie une eine Geschichte erzählen, die Sie besonders stark geprägt hat?
 
Meine letzte Reportage in der Zentralafrikanischen Republik. Ohne Zweifel der gewalttätigste und verrückteste Ort, den ich in den letzten Jahren jemals zu Gesicht bekommen habe.

Wenn Sie eine einzige Sache in der Welt ändern könnten, welche wäre das?
 
Wenn ich etwas in der Welt ändern könnte? Mir fällt nichts ein. Es gibt zu viele Dinge, die geändert werden müssen, oder?
 
Der Herbst ist bereits da und der Winter ist nah. Welche Projekte haben Sie geplant wenn Sie zurückkommen?
 
Nach Perpignan, Bayeux und New York werden wir als nächstes Belgien, Holland und die anderen Länder mit unseren Plakaten bedecken. Und dann, denke ich, werde ich eines Tages wieder mit dem Fotografieren anfangen.

Zurück zur Straße

Kredit Dysturb
Vandalismus für die einen, Streetart oder Marketing für die anderen, auf die Straße als Ausdrucksmöglichkeit zurückzugreifen bleibt dennoch ein hervorragendes Mittel sich in Szene zu setzen. Es spiegelt das Bedürfnis wieder, die Bevölkerung zu informieren und zu integrieren. Dieses Bedürfnis ist stärker als die kommerzielle Logik.

#Dysturb erinnert uns auch daran, dass selbst wenn man die Augen vor unbequemen“ Situationen schliesst, diese dadurch jedoch nicht verschwinden.